Der Staatsrat ist sich der Problematik der tiefen Löhne bewusst und ist der Ansicht, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Lage sein sollten, ihren Lebensunterhalt mit ihrem Lohn zu bestreiten. Dennoch kann er sich der Gesetzesinitiative «Für einen Mindestlohn» nicht anschliessen. Denn sie ist in mehrfacher Hinsicht riskant, da sie darauf abzielt, Niedriglöhne extensiv zu regulieren. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns auf kantonaler Ebene könnte das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft beeinträchtigen und die Eingliederung von benachteiligten Personen in den Arbeitsmarkt behindern.
Übermässige und unausgewogene Regulierung
Die Initiative sieht vor, dass der gesetzliche Mindestlohn von 23 Franken pro Stunde für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 18 Jahren gilt, die sich nicht in Ausbildung befinden. Wenn die Initiative angenommen wird, werden es junge Menschen ohne Berufserfahrung schwerer haben, eine Stelle zu finden, da sie für Arbeitgeber weniger interessant sind. Der gesetzliche Mindestlohn kann auch gering gebildeten Personen, z.B. Personen ohne abgeschlossene Berufslehre, den Eintritt in den Arbeitsmarkt erschweren.
Zudem übergeht die Initiative die Personen, die in einem Programm zur beruflichen Eingliederung beschäftigt sind, z.B. im Asylwesen, bei der Sozialhilfe oder bei der Arbeitslosenversicherung. Sie kann einen negativen Anreiz für Eingliederungsmassnahmen schaffen und somit soziale Programme für benachteiligte Personen gefährden.
Auswirkungen auf Beschäftigung und Preise
Die Initiative sieht einen starren Mechanismus zur Erhöhung des Mindestlohns vor. Bei Inflation müsste der Mindestlohn selbst in Zeiten einer Wirtschaftskrise und steigender Arbeitslosigkeit erhöht werden. Dies würde den Zielen der Initiative, nämlich dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zuwiderlaufen. Denn für die Unternehmen wäre es schwieriger, Arbeitsplätze zu erhalten oder zu schaffen.
Der vorgeschlagene Mindestlohn ist im interkantonalen Vergleich sehr hoch angesetzt, zumal zu den 23 Franken pro Stunde noch Ferien- und Feiertagsentschädigungen hinzukommen. Es handelt sich nach demjenigen des Kantons Genf um den zweithöchsten Mindestlohn der Schweiz. Die Einführung eines Mindestlohns könnte dazu führen, dass einige Unternehmen ihre Preise anheben, um die höheren Arbeitskosten zu kompensieren, und möglicherweise Stellen abbauen oder an einen anderen Ort verlegen. Bereits heute sehen sich einige Unternehmen mit schwindenden Gewinnmargen konfrontiert.
Sozialpartnerschaft hat sich bewährt
Der Staatsrat ist der Ansicht, dass das derzeitige System der Lohnverhandlungen im Rahmen von Gesamtarbeitsverträgen am besten geeignet ist, ein hohes Beschäftigungsniveau sowie einen wettbewerbsfähigen Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Zudem gibt es Instrumente zur Bekämpfung von Lohndumping. Die Initiative räumt dem gesetzlichen Mindestlohn hingegen Vorrang vor den Mindestlöhnen ein, die in Gesamtarbeitsverträgen und Normalarbeitsverträgen festgelegt sind. Damit untergräbt sie die Sozialpartnerschaft.
Eine verantwortungsbewusste Sozialpartnerschaft, die Bekämpfung von Lohndumping und die Investitionen in die Aus- und Weiterbildung sind wirksamere Mittel, um existenzsichernde Löhne und einen funktionierenden Arbeitsmarkt zu gewährleisten.
Aus all diesen Gründen empfiehlt der Staatsrat der Freiburger Bevölkerung, die Initiative «Für einen Mindestlohn» abzulehnen.