1. Der Name der Rose
Botaniker früherer Zeiten kannten oft nur ein Ziel: sämtliche Pflanzen in ihrer Heimatregion zu sammeln, egal, ob sie sehr selten waren oder vergleichsweise häufig vorkamen. Sowohl geistlichen Laienbotanikern als auch Wissenschaftlern ging es in Freiburg vor allem darum, die Nachbarkantone zu übertreffen. Um 1860 entdeckten der Pfarrer Alfred François Puget und der Arzt Franz Joseph Lagger in der Gegend von Albeuve eine neue Rosenart. In einer patriotischen Anwandlung gaben sie dieser den Namen Rosa friburgensis (Freiburger Rose).
Viele Kirchenmänner waren besonders von Rosen angetan und beschrieben unzählige Arten, die von der Wissenschaft heute nicht mehr anerkannt sind. Unsere Freiburger Rose trägt heute den Namen Rosa villosa (Apfel-Rose). Die letzten Spuren der «Freiburger Rose» befinden sich sorgfältig verwahrt in der botanischen Sammlung des Naturhistorischen Museums Freiburg.
2. Der Schuh einer Göttin
Im deutschen Sprachraum ist die Orchideenart Cypripedium calceolus vor allem als Gelber Frauenschuh oder einfach Frauenschuh bekannt. Gelegentlich wird aber auch der Name Venusschuh gebraucht, wie im Französischen (Sabot de Vénus). Dieser Name soll auf eine Legende um die römische Liebesgöttin Venus zurückgehen: Diese soll eines Tages von einem Hirten überrascht worden und vor ihm geflohen sein. Dabei verlor sie einen ihrer goldenen Schuhe. Als der Hirt diesen aufheben wollte, fand er an seiner Stelle eine Blume vor: eben den Venus- oder Frauenschuh.
Die Orchidee gehört zu den spektakulärsten Arten des Kantons Freiburg und konnte noch 1917 im Galterntal bewundert werden. Heute ist sie im Freiburger Flachland fast vollständig verschwunden, unter anderem, weil sie oft gepflückt wurde. Zum Glück gibt es jedoch noch schöne Populationen in den Freiburger Voralpen. Sollten Sie eine davon entdecken, behalten Sie es am besten für sich, denn es gibt nach wie vor skrupellose Hobbygärtner, welche die Pflanze gerne ausreissen, um ihre Privatbeete damit zu schmücken.
3. Als es im Pérolles noch eine Mühle gab
In einer botanischen Sammlung zu arbeiten, ist manchmal wie eine Zeitreise: Wenn man Glück hat, kann man Arten entdecken, die heute im Kanton verschwunden sind. Der Strahlen-Breitsame (Orlaya grandiflora) etwa, eine Pflanze, die ursprünglich aus den trockenen und heissen Regionen des Mittelmeerraums stammt, ist in unseren Breitengraden nie dauerhaft heimisch geworden. Doch es gab eine Zeit, als man ihn in der Umgebung der alten Getreidemühle im Pérollesquartier, ganz in der Nähe des Naturhistorischen Museums, beobachten konnte.
Dieser bemerkenswerte Herbarbeleg zeugt von der vielfältigen Flora, die sich einst in der Umgebung von Mühlen ansiedelte. Die Trennung von Getreide und anderen Pflanzenarten war damals noch schwierig, und so mischten sich allerlei Arten unter die Getreidekörner, um vielleicht ein sonniges Plätzchen auf einem sorgsam gepflegten und bewässerten Feld zu ergattern.
4. Aus den Augen, aus dem Sinn
Einst beherbergte der Kanton Freiburg eines der grössten Sumpfgebiete des Landes: Zwischen dem Neuenburger-, dem Bieler- und dem Murtensee erstreckte sich das Grosse Moos, wo die Malaria wütete und grosse Armut herrschte. Die Trockenlegung des Gebiets ab 1868 führte zur Entstehung des Seelands, wie wir es heute kennen: als Gemüsegarten der Schweiz! Seine aussergewöhnlich fruchtbaren schwarzen Torfböden bestehen aus den Überresten der Moorpflanzen, die hier früher heimisch waren. Einige dieser Arten sind mit dem Verschwinden des Grossen Mooses im Kanton ausgestorben, so etwa das Gewöhnliche Pfeilkraut (Sagittaria sagittifolia), dem man übrigens aufgrund seiner Form nachsagte, es könne von Pfeilen zugefügte Wunden heilen.
Wenn wir also das nächste Mal in ein knackiges, saftiges Radieschen aus dem Seeland beissen, halten wir kurz inne und erinnern uns an die Arten, die wir dafür geopfert haben!Text: Sébastien Bétrisey (Übersetzung: Carole Schneuwly)