Das Gebäude
Der Bau des Rathauses geht auf den Beginn des 16. Jahrhunderts zurück. Damals ging es nur darum, einen Kornspeicher für die Stadt zu bauen. Sehr bald wurde jedoch der Entschluss gefasst, auf diesem Felsvorsprung ein Gebäude der Macht zu errichten; dessen Bau wurde 1522 fertiggestellt. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Gebäude mehrfach umgebaut, wobei sein Aussehen jedoch nicht wesentlich verändert wurde. Das Dach des Uhrturms stammt aus dem Jahr 1643, und die Hauptwache mit seinem Peristyl wurde 1782 hinzugefügt. Im Inneren wurde das Hochparterre mit den Räumen des Grossen und des Kleinen Rates Ende des 18. Jahrhunderts stark verändert. Um das Kantonsgericht unterzubringen, wurde das Gebäude anfangs des 20. Jahrhunderts im Erdgeschoss und in den Untergeschossen stark umgebaut. Im Laufe des Jahrhunderts wurden dann verschiedene Anpassungen vorgenommen. Diese Eingriffe dienten vor allem dem Unterhalt und sollten nicht die Qualität der bestehenden Substanz und Räume hervorheben.
Der Grossratssaal
Der Grossratssaal (oder Saal der Zweihundert), der am 30. September 1522 eingeweiht wurde, ist uns in seiner Gestaltung von 1776-1780 bekannt. Es handelt sich um das erste nennenswerte Beispiel des neoklassischen Stils in unserem Kanton. Die Qualität der Täfelungen und Stuckarbeiten, die interessanten Gemälde und Öfen verleihen dem Ganzen eine besondere Bedeutung.
Der Gemäldezyklus aus einer zentralen farbigen Allegorie und vier grauen historischen Medaillons an der Decke muss vollständig Gottfried Locher, dem besten Freiburger Maler der damaligen Zeit, zugeschrieben werden. Dieser Zyklus wurde wahrscheinlich am Ende der Renovierungsarbeiten des Saals, Ende 1776, Anfang 1777, realisiert. Das zentrale Gemälde stellt die Apotheose der Republik Freiburg dar. Unter dem Auge Gottes, auf einem Wagen, der von zwei Taubenpaaren gezogen wird, hält der regierende Schultheiss das sogenannte Grossweibel-Zepter; es ist das Zeichen der Rechtsprechungsgewalt, die der Staatspräsident im Namen des Grossen Rates innehat, und das Emblem der Souveränität des Kantons. Er wird von drei allegorischen Figuren unterstützt: die Weisheit krönt ihn, die Gerechtigkeit sitzt an seiner Seite und die Frömmigkeit geht ihm voraus. Diese Darstellung der guten Regierungsführung der Republik Freiburg zeigt, dass sie ihre Legitimität, Souveränität und richterliche Gewalt von Gott selbst hat und die ihr verliehene Macht mit Gerechtigkeit und Weisheit ausübt und stets von den Gefühlen der Liebe und Frömmigkeit angetrieben wird. Die vier Medaillons in den Ecken der Decke erzählen die Geschichte der Gründung Freiburgs, seiner Befreiung und seines Eintritts in die Eidgenossenschaft.
Der Grossratssaal wurde 1999 neu gestaltet, was insbesondere die Installation einer elektronischen Abstimmungsanlage ermöglichte.Durch den Umbau, der sich von 2020 bis 2022 erstreckte, wurde die bestehende Substanz des Gebäudes wieder zur Geltung gebracht. Seit seiner Wiedereröffnung ist das gesamte Rathaus für den Grossen Rat da.
Die monumentalen Öfen im Grossratssaal wurden 1776 vom Töpfermeister André Nuoffer angefertigt (die Abschlussurne des rechten Ofens stammt aus dem Jahr 1889). Zusammen mit denen des Saals Susanna (Saal des Kleinen Rates) gehören sie zu den schönsten, die im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts in der Schweiz realisiert wurden, und sind aufgrund der Reichhaltigkeit ihres Dekors und ihrer Ikonografie die bedeutendsten des Kantons. Die beiden Kachelöfen im Grossratssaal zeigen 34 biblische Episoden, die einen Diskurs über das Wesen der menschlichen Macht, die der göttlichen Autorität untergeordnet ist, bilden und die Ratsmitglieder an die Tugenden erinnern, die es zum Regieren braucht. Ausserdem sind sie mit Blumen und vierundzwanzig Trophäen verziert, die an Feldarbeit, Jagd sowie an Souveränität und Gerechtigkeit erinnern.
Die Glasfenster, die von Louis Greiner realisiert wurden, stammen vom Ende des 19. Jahrhunderts und zeigen neben den Wappen des Kantons und der Bezirke eine Galerie politischer Vorbilder: Herzog Berthold IV. von Zähringen, den Gründer der Stadt, Petermann de Faucigny, Staatsmann und Militärführer, Louis d'Affry, den ersten Landammann der Schweiz, und Louis Weck-Reynold, Staatsrat, Ständerat und Nationalrat. Als Anekdote sei erwähnt, dass das ursprüngliche ikonografische Programm Glasfenster vorsah, die Nikolaus von Myra, dem Schutzpatron der Stadt, und Nikolaus von Flüe, dem Schutzpatron der Schweiz, gewidmet waren. Um insbesondere die Kritik der protestantischen und radikalen Kreise zu vermeiden, setzte der Staatsrat jedoch d'Affry und Weck-Reynold durch, moderne Figuren aus der Zivilgesellschaft.
Susanna
Auch der ehemalige Saal des Kleinen Rates, der heutige Saal Susanna, ist uns in seiner Gestaltung von 1775 bekannt. Dieser Raum, in dem die Mitglieder des Kleinen Rates - des Exekutivorgans im Ancien Régime - tagten und Recht sprachen, war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das Gravitationszentrum der Macht. Danach beherbergte er von 1814 bis 2013 das Berufungsgericht und später das Kantonsgericht.
Der Saal erhielt den Namen Susanna, nachdem 2021 bei Renovierungsarbeiten ein vergessenes Fresko entdeckt wurde, das die biblische Episode von Susanna und den Alten darstellt und 1531 vom Maler Anton Henckel gemalt wurde. Das Werk wurde von der 1775 angebrachten Täfelung verdeckt und war bemerkenswert gut erhalten. Solche Fresken, die unter anderem dazu dienen sollten, Rechtsuchende und Zeugen zu beeindrucken, waren in Räumen, in denen Recht gesprochen wurde, häufig anzutreffen. In diesem Fall veranschaulicht das Gemälde die Strafe, die für Falschaussage vorbehalten ist: Susanna wurde von zwei alten Männern, deren Annäherungsversuche sie zurückgewiesen hatte, des Ehebruchs beschuldigt und zum Tode verurteilt und dann vom Propheten Daniel als unschuldig erklärt; die Verleumder liess er steinigen.
In der südwestlichen Ecke des Saals befindet sich die Tür des Schatztürmchens, deren Restaurierung die Raffinesse und Lebendigkeit der Renaissancemotive (Grotesken), die sie schmücken, offenbart hat. Die Tür, die 1522 installiert und vom Staatsschlosser Hans Seeman angefertigt wurde, besteht aus 16 sich überlappenden Eisenplatten, die durch eine Nietverbindung zusammengehalten werden. Wenn der komplexe Schliessmechanismus betätigt wird, werden neun Sperriegel aktiviert. Die Tür konnte zudem mit drei zusätzlichen Vorhängeschlössern gesichert werden.
Das Weibelzimmer
Das schmale Weibelzimmer hatte eine wichtige Rolle in der ursprünglichen Anordnung des Hochparterres. Es diente als Vorzimmer, von dem aus man in den Saal der Zweihundert (Grosser Rat) oder den Saal des Kleinen Rates (Saal Susanna) gelangte. Mit der Umgestaltung von 1775-1780 wurde die Funktion dieses Raums geändert, er wurde dann zur Wandelhalle des Grossen Rates.
In diesem Vorzimmer ist die einzige ursprüngliche Decke dieses Stockwerks erhalten, eine Balkendecke, die von flach geschnitzten Friesen gesäumt wird (1521). Dort ist eine Anrufung der dreifaltigen heiligen Anna zu lesen (die heilige Anna, die Jungfrau Maria und Christus). Die am Kreuzbalken befestigte Skulptur des gekreuzigten Christus von Martin Gramp stammt ebenfalls aus der Bauzeit. Die Fenster wurden mit einem zeitgenössischen Glasfenster mit dem Titel Souffle/Seitenwind der Freiburger Künstlerin Catherine Liechti verkleidet. Der Staatsrat schenkte dem Grossen Rat dieses Werk zum Abschluss der Renovierungs- und Umbauarbeiten am Rathaus.
Im Weibelzimmer befindet sich ausserdem der Tisch des Kleinen Rates, der zwischen 1544 und 1546 vom Bildhauer Hans Gieng angefertigt wurde. Dieser Prunktisch ist ein Juwel unter den Renaissancemöbeln in der Schweiz. Die lateinischen Maximen fordern die Ratsmitglieder auf, gerechte Richter zu sein.
Die Wandelhalle
Der weitläufige Raum im Erdgeschoss erlebte mehrere Nutzungen. Zunächst beherbergte er einen Kornspeicher, dann ein Zeughaus und diente schliesslich als Lagerraum für verschiedene Institutionen. Die in den 1510-er Jahren fertiggestellte Halle wurde – ebenso wie die Untergeschosse – erst 1937 umfassend umgebaut, als man beschloss, dort die Gerichtsschreiberei des Kantonsgerichts und Büros für die Richter einzurichten. Der Eingriff war radikal und schonungslos: Molassepfeiler wurden geändert und in gemauerten Trennwänden versteckt, Jochbögen zerstückelt, Buge angesägt, Fensterleibungen grob behauen, Eichenpfosten entfernt, Mauern aufgebrochen ... Heute ist dieser Raum befreit und rehabilitiert, er erhält den Charakter der ursprünglichen Halle zurück und bildet einen prächtigen Haupteingang zum Rathaus.
Auf dem Boden erinnert das Kunstwerk Eclipse von Isabelle Krieg und Ralph Alan Mueller an den Lockdown wegen der Coronavirus-Pandemie, den die Künstler als Chance für positive Veränderungen in Gesellschaft und Politik sahen.
Die Hauptwache
Der Bau des Hauptwaches war mit den wirtschaftlichen und politischen Unruhen des späten 18. Jahrhunderts verbunden, deren Höhepunkt der Chenaux-Aufstand im Jahr 1781 war. Das Gebäude wurde in acht Monaten fertiggestellt und am 3. Januar 1783 eingeweiht. Es umfasste drei Ebenen: eine Salzverkaufsstelle, ein Gefängnis und den eigentlichen Raum der Wache.
Die Hauptwache behält seine ursprüngliche Funktion in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dann wird im zweiten Stock des Rathauses eine Gendarmeriekaserne eingerichtet, die über die 1852 im Uhrturm errichtete Eichentreppe mit dem Zeughaus im Erdgeschoss und der Hauptwache verbunden wird. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beherbergt die Hauptwache, der nun als Gendarmerieposten Linde bezeichnet wird, die Büros des Kommandanten der kantonalen Gendarmerie. 1986 verliessen die Gendarmen die Räumlichkeiten und die Hauptwache wurde 1992 in einen Anbau des Kantonsgerichts umgebaut, das ihn bis zu seinem Umzug in das ehemalige Augustinerkloster Ende 2013 benutzte.
Nun beherbergt die Hauptwache drei moderne Sitzungszimmer.
Erfahren Sie mehr über das Rathaus auf der eigens dafür eingerichteten Website: hotelcantonalfribourg.ch