Kanton

Montag 17. März 2003, Kanton


Eine Frage des Gewissens, nicht des Staatsrechts

Zum Abschluss der März-Session, welche in dieser Woche stattfindet, wird sich der Verfassungsrat am Freitag noch mit der Präambel befassen. Die Bundesverfassung und die meisten Kantonsverfassungen kennen einen solchen einleitenden Kurztext; ein «Tor zur Verfassung», wie man diesen auch bezeichnen könnte. Darin werden die Grundlagen abgesteckt und die Zielrichtung aufgezeigt, nach denen sich die Anwendung des Rechts im entsprechenden Staatswesen ausrichten wird.
Bei der Diskussion über die Präambel wird jeweils die Frage leidenschaftlich diskutiert, ob sie mit einer Anrufung oder Nennung Gottes beginnen soll oder nicht. Dies ist in der noch geltenden Kantonsverfassung der Fall und ebenfalls in der neuen Bundesverfassung. Die genannte Auseinandersetzung widerspiegelt deutlich die Ambivalenz, mit der unsere Gesellschaft dem Religiösen begegnet.
Dies zeigt sich auch in den Überlegungen der Sachbereichskommission 1 des Verfassungsrates, welche einen Vorschlag für die Präambel auszuarbeiten hatte. Vor einem Jahr wurde dafür zuerst ein öffentlicher Wettbewerb ausgeschrieben. Doch das Ergebnis war für die Kommission nicht bindend. Dem entsprechenden Bericht der Kommission ist zu entnehmen, dass diese mit 6 zu 5 Stimmen beschlossen hatte, auf die Nennung Gottes in der Präambel zu verzichten. Hingegen entschied sie sich, den Begriff «Schöpfung» zu verwenden. Somit heisst es im Entwurf «im Bewusstsein unserer Verantwortung gegenüber der Schöpfung». Es gibt allerdings einen Minderheitsantrag der Kommission mit folgender Formulierung: «im Bewusstsein unserer Verantwortung vor Gott».
Die Mehrheit der Kommission begründet ihre Haltung unter anderem damit, dass die Anrufung Gottes bereits in der Bundesverfassung enthalten ist. Eine Wiederholung im kantonalen Grundgesetz sei deshalb nicht nötig. Diese etwas sonderbare Ansicht könnte man bei vielen anderen Grundfragen, die in der Verfassung zu regeln sind, auch ins Feld führen. Im Kommissionsbericht steht zudem, dass eine moderne Verfassung eine Trennung vollziehen müsse zwischen Formulierungen auf metaphysischer Ebene und dem gesamten Regelwerk, das für die Menschen geschaffen wird. Bei dieser Überlegung wird allerdings verkannt, dass die Präambel nicht die Ebene des Rechts, sondern jene des Gewissens betrifft. Sie ist im Gegensatz zu den einzelnen Verfassungsartikeln ein Bekenntnis dazu, in welchem Geist die Verfassung zu verstehen und in welchem Sinne die Rechtsnormen umzusetzen sind. Die Begründung, auf die Nennung Gottes in der Einleitung sei zu verzichten, weil man die übernatürliche Dimension von den irdischen Rechtsnormen trennen solle, ist daher überhaupt nicht stichhaltig.
Es stellt sich aber trotzdem die Frage, ob heute angesichts des religiösen Pluralismus der explizite Bezug zu Gott in der Verfassung noch möglich ist. Die Verfassung nennt richtigerweise Werte wie Menschenwürde und Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und kulturelle Vielfalt, Solidarität und Achtung der Umwelt usw. Bei praktischen Entscheiden, wie diese Werte umzusetzen sind - der Bereich der Biomedizin ist ein aktuelles Beispiel dafür -, soll aber auch die religiöse Lebensphilosophie in Betracht gezogen werden können.
Zu diesem Zweck ist die Nennung Gottes, des Schöpfers, in der neuen Freiburger Verfassung sehr wünschenswert, wobei die entsprechende Formulierung noch zu finden ist. Hiezu können insbesondere drei Gründe angeführt werden: Eine entsprechende Erwähnung bringt zum Ausdruck, dass die Menschen eine transzendentale Dimension, eine das Irdische überdauernde Bestimmung haben. Mit der ausdrücklichen Anerkennung einer übergeordneten Instanz muss den Menschen bewusst gemacht werden, dass sie den dauerhaften Aufbau einer gerechten, solidarischen und friedlichen Welt aus eigenen Kräften allein nicht schaffen. Daraus ergibt sich das Eingeständnis, dass sie in all ihren Bemühungen die Hilfe ihres Schöpfers benötigen.
Ein Bezug zu Gott als Einstieg in die Verfassung steht zudem nicht im Widerspruch zur Glaubens- und Gewissensfreiheit, weil - wie bereits erwähnt - die Präambel auf einer anderen Ebene liegt. Im Gegensatz zu den Ausführungen im Bericht der vorberatenden Kommission des Verfassungsrates hat dies auch gar nichts mehr mit einem konfessionellen Staat zu tun. Damit können auch andere Religionen gut leben, namentlich die immer grösser werdende muslimische Gemeinschaft. Andersgläubige werden mit einer entsprechenden Formulierung überhaupt nicht vor den Kopf gestossen. Mit dem Ausweichen auf den Begriff «Schöpfung», wie er im Vorschlag der Kommissionsmehrheit enthalten ist, wird zudem das Grundanliegen keineswegs berücksichtigt. Der Sinn ist ein völlig anderer.
Für die Fortsetzung der Beratungen muss der Verfassungsrat wissen, dass das künftige kantonale Grundgesetz bestimmte Mindestanforderungen erfüllen muss, damit der Entwurf in einem Jahr dem Volk zur Annahme empfohlen werden kann. Dazu gehört, dass das Volk, dass sich eine Verfassung gibt, sich seiner eigenen Begrenzung und der Zuordnung zu einer letzten Instanz bewusst ist und dies auch zum Ausdruck bringt. Ein Kanton, der vergisst, dass er seine Entwicklung und seine heutige Stellung im nationalen und internationalen Kontext in hohem Masse Werten verdankt, die ihm die Religion und vor allem das Christentum vermittelt haben, könnte für viele Menschen in diesem Kanton nicht mehr wahrhaft Heimat sein.
Von WALTER BUCHS


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