Kanton

Donnerstag 20. Februar 2003, Kanton


Wie «Working poor» helfen?
Fraktionen im Verfassungsrat neutralisieren sich gegenseitig
Weil die SP-Fraktion mit zwei für sie zentralen Anliegen abgeblitzt war, hat sie das Kapitel über die Staatsfinanzen im Verfassungsvorentwurf abgelehnt. Sie hofft auf eine Korrektur in zweiter Lesung.
Von WALTER BUCHS
In der Januar-Session des Verfassungsrates ist gegen den Willen der Sozialdemokraten eine Bestimmung abgelehnt worden, die besagte, dass in einem Gesetz ein Mindestlohn festgelegt werden kann. Von Seiten der CVP hatte man damals geltend gemacht, dass dies zur Bekämpfung der Armut unwirksam sei und man vielmehr Massnahmen über die Steuern ergreifen müsse.
Am Mittwochnachmittag hat der Verfassungsrat nun die Bestimmungen des Vorentwurfs beraten, welche die Staatsausgaben betreffen. Dabei haben die beiden CVP-Verfassungsräte Claude Schenker und Laurent Schneuwly einen zusätzlichen Absatz vorgeschlagen, der besagt, dass Staat und Gemeinden «ein Steuerrabattsystem für arme Erwerbstätige (working poor) vorzusehen haben». Gemäss Claude Schenker geht es dabei um einen Steuererlass. Wenn dieser unter null fällt, hätte die betroffene Person resp. der betroffene Haushalt Anspruch auf einen staatlichen Beitrag, ohne auf Sozialhilfe angewiesen zu sein.
Weder Rabatt noch Negativsteuer
Demgegenüber schlug der SP-Fraktionschef Alain Berset einen Zusatz vor, der Staat und Gemeinden verpflichtet, eine Negativsteuer vorzusehen. Personen, die eine Vollzeitstelle haben und deren Einkommen trotzdem nicht reicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten (working poor), hätten dann Anrecht auf einen staatlichen Beitrag.
Mit scharfen Worten wandte sich FDP-Fraktionschef Denis Boivin gegen beide Anträge. Die beste Lösung sei nach wie vor, die Steuern zu senken, und das habe der Grosse Rat kürzlich mit Hilfe der CVP und der SP wieder verschoben. Alt Staatsrat und Finanzdirektor Félicien Morel warnte davor, Steuer- und Sozialhilfegesetze zu vermischen. Zudem sei der von der Kommission vorgeschlagene Entwurf gut, umfassend und offen. Peter Jaeggi (CSP, Schmitten) und Ambros Lüthi (SP, Freiburg) gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die beiden Antragssteller sich verständigen können, da sie das gleiche Ziel verfolgen. Dazu kam es aber nicht. In der Folge lehnte der Rat dann beide Vorschläge jeweils im Verhältnis 2:1 ab. Somit war der Kommissionsvorschlag angenommen, der Staat und Gemeinden bei der Erhebung von Steuern und Abgaben ebenfalls verpflichtet, die «wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu beachten.»
Yvonne Gendre und Erika Schnyder (beide SP) sowie Olivier Suter (Offene Liste) hatten zudem einen Zusatz eingebracht, wonach der Gemeindesteuerfuss auf Einkommen und Vermögen 100 Prozent der einfachen Kantonssteuer nicht über- und 80 Prozent nicht unterschreiten darf. Dieser Antrag wurde deutlich abgelehnt.
Verpflichtung zum Budgetausgleich
Wie in der Null-Lesung beschlossen, sieht der Vorentwurf der Kantonsverfassung vor, dass «der Voranschlag der Laufenden Rechnung des Staates ausgeglichen ist». Er darf allerdings je nach Konjunkturlage und bei ausserordentlichen Zahlungsbedürfnissen Defizite machen, die aber innert fünf Jahren ausgeglichen werden müssen. Die SP-Fraktion schlug gestern vor, diese letzte Bestimmung wieder zu streichen. Die Periode sei zu kurz bemessen und die Bestimmung nicht anwendbar. Sie wurde aber nur gerade von der Fraktion «Offene Liste» unterstützt.
Für Ueli Johner (SVP, Kerzers) geht es darum, den Grundsatz des Budgetausgleichs konsequent durchzuziehen. Denis Boivin (FDP, Freiburg) machte darauf aufmerksam, dass es bei der Bestimmung um die Laufende und nicht um die Investitionsrechnung geht. Obwohl die SP eine Abstimmung unter Namensaufruf verlangte, wurde ihr Antrag mit 29:61 Stimmen abgelehnt. Knapp verworfen wurde auch ein FDP-Antrag, der verlangte, dass auch der Voranschlag der Laufenden Rechnung der Gemeinden ausgeglichen sein muss. Gutgeheissen wurde dann aber ein Zusatzantrag der Freisinnigen, gemäss dem ein unabhängiges Kontrollorgan nicht nur die Aufsicht über die Staats-, sondern auch über die Gemeindefinanzen ausübt.
Ein weiterer Artikel im Vorentwurf besagt, dass «Staat und Gemeinden mit ihren Finanzen sparsam umzugehen haben». Zu diesem Zweck sollen «die Staatsausgaben und die gewährten Subventionen regelmässig auf ihre Nützlichkeit, Notwendigkeit und Finanzierbarkeit überprüft werden». Die SP schlug war, diesen zweiten Teil zu streichen. Doch auch in diesem Punkt folgte das Plenum den Sozialdemokraten nicht.

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