Kanton

Samstag 29. September 2001, Kanton


Sprachenfrage und Sozialrechte im Mittelpunkt
Vorschläge und Thesen für die neue Staatsverfassung wurden erstmals durchleuchtet
Der Verfassungsrat hat am Freitag an einer ganztägigen Sitzung von den Zwischenberichten seiner acht Kommissionen Kenntnis genommen. Es wurden keine Beschlüsse gefasst, doch hatten die Fraktionen Gelegenheit, ihre Stellungnahmen abzugeben. Diese dienen den Arbeitsgruppen nun als Anhaltspunkte für die weitere Arbeit.
Von WALTER BUCHS
Mit einer gewissen Spannung wurden die Reaktionen zu den Thesen und Vorschlägen zur Sprachenregelung erwartet, welche die Kommission 1 unter dem Präsidium von Bernadette Hänni-Fischer erarbeitet hatte (siehe auch FN vom 19. September). Dabei wurde unter anderem vorgeschlagen, die Sprachenfreiheit als Grundrecht in der Verfassung zu verankern sowie Französisch und Deutsch als «National- und Amtssprachen» zu bezeichnen. Wer sich an eine kantonale Behörde wendet, soll «dies in der Amtssprache seiner Wahl tun» können, und der Kanton hat das Erlernen der zweiten Kantonssprache aktiv zu fördern.
Geist der Offenheit gewürdigt
Von einer Ausnahme abgesehen erklärten alle Fraktionssprecher, dass sie im Wesentlichen mit den Sprachenthesen einverstanden sind. Die Sprachwissenschaftlerin Claudine Brohy, Freiburg, stellte im Namen der Gruppe «Offene Liste» fest, dass in den Thesen der Kommission ein «Geist der Öffnung und der Integration» zum Ausdruck kommt und dass damit der Absonderung eine Ansage erteilt wird. Für die CSP hob Hermann Boschung, Schmitten, hervor, dass die Zweisprachigkeit zur Identität Freiburgs gehört und eine Bereicherung darstelle. Für Monika Bürge-Leu, Wünnewil, die den Standpunkt der CVP darlegte, ist die Zweisprachigkeit «das dauerhafteste Merkmal in der Geschichte von Stadt und Kanton Freiburg». Es sei wichtig, dies gezielter als bisher wahrzunehmen und zu einem Standortvorteil zu machen. Die Förderung der Verständigung und das aktive Zusammenwirken der beiden Sprachgemeinschaften seien «der Schlüssel zum friedlichen Zusammenleben».
Raphaël Chollet zeigte sich als Sprecher der Fraktion «Öffnung» enttäuscht, aber nicht überrascht über die Haltung der Kommission zur Frage des Territorialitätsprinzips, das noch gar nicht richtig diskutiert worden sei. Wie der Sprecher der SVP kritisierte er auch die Arbeitsweise der Kommission, in der der Anteil der Deutschsprachigen überwiege. Präsidentin Hänni wies aber darauf hin, dass diesem Umstand gebührend Rechnung getragen wurde, und machte deutlich, dass die Kommission nicht darauf eintreten werde, wenn ein Mitglied versuche, einen Streit vom Zaun zu reissen.
Familien- und Kinderschutz
Als Präsidentin der Kommission 2, die sich mit den Sozialrechten und -pflichten sowie den Sozialzielen zu befassen hatte, betonte Eva Ecoffey, Villars-sur-Glâne, dass nach Meinung der Arbeitsgruppe die erwähnten Rechte, Pflichten und Ziele möglichst vollständig und konkret formuliert in die Verfassung aufgenommen werden sollen. Die Grundidee, dass dem Schutz der Familien, der Kinder und Jugendlichen hohe Priorität eingeräumt werden soll, wurde von allen Fraktionen anerkannt. Dies trifft ebenfalls auf die Arbeit der Kommission 3 zu, die sich mit den Staatsaufgaben befasste.
Die Fraktionen FDP und SVP sind allerdings der Meinung, dass die Mutterschaftsversicherung ausschliesslich auf Bundesebene zu regeln ist. Zudem wird eine bessere Systematik bei der Formulierung der Sozialrechte und -ziele sowie der Staatsaufgaben erwartet, und angeregt, diese Arbeit zum Anlass zu nehmen, den Weg für eine neue Aufgabenteilung zwischen Kanton und Gemeinden zu nutzen.
Stärkung der Demokratie
Als Präsident der Kommission 5, die sich mit Parlament und Verfassung befasste, hob Peter Jäggi, Schmitten, hervor, dass es der Arbeitsgruppe wesentlich darum ging, die Kompetenzen des Grossen Rates zu stärken und die Arbeitsweise wirksamer zu gestalten. Mit diesen Zielsetzungen waren alle Fraktionen einverstanden. Einigkeit herrschte aber nicht bei den vorgeschlagenen Massnahmen, wie beispielsweise beim Antrag, die Zahl der Parlamentsmitglieder zu kürzen und die Stellvertretung einzuführen.
Dasselbe gilt für den Bereich der politischen Rechte. Geteilt sind dabei die Meinungen namentlich zu den Vorschlägen, das konstruktive Referendum oder die Volksmotion einzuführen oder unter bestimmten Bedingungen die Gemeinden zu Fusionen zu zwingen.

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