Emile Savoy (1877–1935), konservativ
Emile Savoy besucht das Kollegium St. Michael, wo er sich mit Jean-Marie Musy anfreundet. Während zwei Semestern studiert er Rechtswissenschaften an der Universität Freiburg (1900) und setzt dann seine Studien in Löwen fort (1901–1904). Dort erwirbt er ein Doktorat in Recht (1903) und ein Lizentiat in Politik- und Sozialwissenschaften (1904). In diesem Fachbereich verfasst er eine zweite Doktorarbeit über das Lehrlingswesen in der Schweiz (1910). Während seines Aufenthalts in Belgien arbeitet er als Privatsekretär des Vizepräsidenten der Abgeordnetenkammer. Daneben erteilt er Unterricht in Wirtschaftspolitik an der Gewerbeschule in Bertrix und ist Mitarbeiter mehrerer Zeitungen. Emile Savoy bleibt auch nach seinem Weggang Belgien stets eng verbunden und pflegt dauerhafte Beziehungen zu dortigen katholischen Politikern und Intellektuellen.
Nach seiner Rückkehr nach Freiburg ist er als Inspektor im Lehrlingswesen (1904), als Richter am Bezirksgericht Saane (1905), als Oberamtmann des Glanebezirks (1905) und als Oberamtmann des Greyerzbezirks (1907) tätig. Am 8. April 1913 wird er mit Musys Unterstützung – gegen den Kandidaten Pythons, den Freiburger Stadtammann Ernest Weck – in den Staatsrat gewählt. Als Nachfolger von Louis Weck leitet er die Polizei- und Gesundheitsdirektion (1913–1916) und befasst sich insbesondere mit der Reform des Strafvollzugssystems (1915). Die landwirtschaftliche Anstalt Bellechasse wird zum kantonalen Strafvollzugszentrum; ihre Verwaltung und Struktur werden reorganisiert, um die Umerziehung der Sträflinge durch ein zunehmendes Arbeitspensum zu fördern.
Während des Ersten Weltkriegs ist Emile Savoy für die Versorgung des Kantons Freiburg verantwortlich. Ausserhalb seiner öffentlichen Ämter gründet und leitet er das Freiburger Hilfskomitee für belgische Flüchtlinge. Aufgrund seiner Beziehungen zu Belgien wird er 1916 der Spionage beschuldigt: Die Deutschen behaupten, er habe sich unter dem Mantel des Hilfskomitees als Mittelsmann zwischen Belgien und Frankreich betätigt. Die «Affäre Savoy» nimmt eine nationale Dimension an; jedoch ist es schwierig, die näheren Umstände vor dem Hintergrund des Krieges und den moralischen Verwerfungen der damaligen Zeit zu bestimmen.
Um die Lage zu beruhigen, nutzt Savoy den Rücktritt von Fernand Torche, um am 23. Mai 1916 in die Direktion des Innern, der Landwirtschaft, des Handels und der Industrie zu wechseln. Er widmet sich nun der Entwicklung der Landwirtschaft, die er als Grundlage jeder gesunden Wirtschaft betrachtet. In der Überzeugung, dass die Ausbildung der beste Garant für Fortschritt ist, gründet er mit Hilfe des Gesetzes über den landwirtschaftlichen Unterricht das Landwirtschaftliche Institut Grangeneuve und die Landwirtschaftliche Hauswirtschaftsschule (1919). Er engagiert sich persönlich für die Vereinheitlichung und Restrukturierung der Landwirtschaft, indem er den Freiburgischen Landwirtschaftsverband und den Landwirtschaftlichen Genossenschaftsverband präsidiert. Zudem gründet er die konservative Zeitschrift Le Paysan fribourgeois (1920), die sich für die Interessen der Landwirte einsetzt. Seine Ideen sind, auch wenn er als Vater der modernen freiburgischen Landwirtschaft gilt, gelegentlich durch ein Festhalten am Vergangenen geprägt. Dies äussert sich insbesondere in seinen Vorstellungen zur Autarkie und zur Heimarbeit. Savoy ist für die Sache der Landwirte auf Westschweizer (Fédération des sociétés romandes d’agriculture), nationaler (Vorstand des Schweizerischen Bauernverbandes) und internationaler Ebene (Internationale Landwirtschaftskommission) tätig.
In Übereinstimmung mit der Sozialdoktrin der Kirche setzt er sich für den Schutz der Bedürftigsten ein. Er erarbeitet hierzu ein Gesetz über die Fürsorge und Wohlfahrt (1928) und ein Gesetz über die Arbeitslosenversicherung (1928, revidiert 1932). Zudem ist er der Verfasser eines Gesetzesentwurfs über die korporative Organisation der Berufe (1934), das vom Grossen Rat verabschiedet, doch nie promulgiert wird.
Nach Pythons Machtverlust und Musys Rücktritt wird Savoy der starke Mann des Staatsrats, den er viermal präsidiert (1916, 1920, 1926, 1933). Er setzt sich für eine verstärkte Zentralisierung der Verwaltung und Politik ein. Im Grossen Rat sitzt er als Vertreter des Vivisbachbezirks (1915–1925), bis die Ämterhäufung verboten wird. Darüber hinaus übt er ein weiteres politisches Doppelmandat aus: Als Pythons Nachfolger wird er 1920 in den Ständerat gewählt, dem er bis 1935 angehört und den er 1928 präsidiert. In Bern profiliert er sich in landwirtschaftlichen und sozialen Fragen. Zudem ist er in den Führungsgremien der Konservativen Volkspartei auf verschiedenen Ebenen tätig: als Vizepräsident des Freiburger Kantonalverstands und als Mitglied des Schweizerischen Zentralvorstands. Daneben ist er Mitglied der Neuen Helvetischen Gesellschaft. Mehr als durch seine rednerische Begabung überzeugt Savoy durch seine Arbeitskraft und seine Sachkenntnis. Zahlreiche Vorträge und Publikationen belegen sein Interesse und sein Wissen in den Bereichen, in denen er tätig war. So hat er unter anderem die Schriften «L’ouvrier chocolatier à Broc en 1908» (1913), «Essai de politique agraire fribourgeoise» (1919) und «Paupérisme et bienfaisance» (1922) verfasst. Im Augenblick seines Todes schreibt er an einer weit gespannten Abhandlung mit dem Titel «L’agriculture à travers les âges».
Im Alter von 57 Jahren stirbt Emile Savoy am 26. Januar 1935 in Freiburg in Ausübung seiner politischen Ämter.