Die «Pierre du Niton» – von einer lokal-genferischen zur schweizerischen Höhenreferenz
Seit 200 Jahren gilt die Höhe der sog. «Pierre du Niton», einem Montblancgranit-Findling im Hafenbecken von Genf, als Referenz. Die damaligen lokalen und regionalen Höhenmessungen basierten auf der Höhe (373.3 m über Meer) einer auf dem Findling angebrachten bronzenen Pegelmarke. Für die Bezugshöhe der «Topographischen Karte der Schweiz» 1:100'000, auch Dufourkarte genannt, wählte General Henri Dufour aber den Mittelwert zweier französischer Höhenmessungen des Chasserals (1840: 1609.57 m ü. M.). Davon ableitend ergibt sich eine Höhe der «Pierre du Niton» von 376.2 m ü. M.
Erst 1879 bestimmte Oberst Hermann Siegfried die «Pierre du Niton» als offizielle Bezugshöhe (376.86 m ü. M., «Alter Horizont») für alle Höhenangaben der Blätter 1:25'000 und 1:50'000 des «Topographischen Atlas der Schweiz im Masstab der Original-Aufnahmen», beziehungsweise der sogenannten Siegfriedkarte. Aber 1902 musste die Höhe des Findlings, ausgehend von den Meeresanschlüssen der Nachbarländer, um 3.26 Meter nach unten korrigiert werden. Seit 1910 gelten diese 373.6 m ü. M. des «Neuen Horizonts» als gesetzlich festgelegter Referenzwert für die Siegfriedkarte und das nachfolgende Landeskartenwerk.
Unser Moléson - während fast 50 Jahren über 3 Meter zu hoch
Man würde nun erwarten, dass die 1910er Bezugswerte schnell ihren Weg in die offizielle Kartographie fanden. Dies war aber nicht der Fall, wie es am Beispiel unseres markanten Freiburger Berges Moléson belegt werden kann (Siehe die Tabelle 1 und die Abbildung). Seine Höhe wurde 1847, in der ersten Ausgabe des Blattes 17 «Vevey-Sion» 1:100'000 der Dufourkarte, mit 2005 m ü. M. angegeben. In der Erstausgabe des Jahres 1890 von Blatt 458 «Grandvillars» 1:25'000 der Siegfriedkarte war er mit 2006 m ü. M. um einen Meter höher. Die Zweitausgabe desselben Blattes des Jahres 1903 erhöhte ihn noch um 30 Zentimeter auf 2006.3 m ü. M. In der vierten Ausgabe von 1921 wurde die Berghöhe auf 2005.8 m ü. M. verringert. Dieser Wert hatte dann Bestand bis zur sechsten und letzten Ausgabe des Jahres 1949. Nun hätte die 1910 gesetzlich festgelegte Reduzierung um 3.26 Meter aller Höhenquoten schon in der dritten Ausgabe des Siegfried-Blattes 458 von 1911 vorgenommen werden müssen - sie unterblieb aber bis zur letzten von 1949! Diese Anpassung wurde erst 1959, mit der Erstausgabe des Blattes 1245 «Château d’Oex» 1:25'000 der Landeskarte der Schweiz, vorgenommen, wo dem Moléson eine Höhe von 2002.5 m ü. M. verliehen wurde. Mit der Umsetzung des «Neuen Horizonts» haperte es demnach ganz offensichtlich – der Moléson war 49 Jahre lang 3.3 Meter zu hoch. Auf den heutigen Karten wird die gerundete Höhe des Moléson mit 2002 m ü. M. angegeben.
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Tabelle 1
Auch das trigonometrische Signal von Avry-sur-Matran musste fast 50 Jahre auf seine richtige Höhe warten
Man könnte nun meinen, dass diese Nichtberücksichtigung der gesetzlichen Normen nur den Moléson betroffen hätte. Mitnichten! Ein zufällig ausgewähltes Beispiel im Unterland wie das stadtnahe trigonometrische Signal von Avry-sur-Matran zeigt dasselbe Phänomen (Siehe Tabelle 2). Auf der Dufourkarte von 1864 liegt dessen Höhe bei 717 m ü. M. In den verschiedenen Ausgaben von Blatt 344 «Matran» der Siegfriedkarte schwankt sie geringfügig zwischen 715 m (Erstausgabe 1886), 715.4 m (1899, 1907, 1911) bis 716.5 m ü. M. (1930, 1947). Erst 1955, mit dem Erscheinen der ersten Ausgabe von Blatt 1205 «Rossens» der neuen Landeskarte 1:25'000, wird die 1947er Höhe um 3.2 Meter nach unten korrigiert und beträgt nun 713.3 m ü. M. Auch bei diesem Beispiel musste, wie beim Moléson, wiederum fast ein halbes Jahrhundert vergehen, bis die 1910er «Pierre du Niton»-Bezugshöhe Eingang in die Freiburger Blätter der eidgenössischen Kartographie fand.
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Tabelle 2
Warum keine Berücksichtigung der 1910er Höhe der «Pierre du Niton» in den Siegfriedblättern mit kantonalfreiburgischen Anteilen?
Niemand wird die Notwendigkeit und die Wichtigkeit vergleichbarer Höhen bezweifeln. Die zwei Beispiele werfen aber die Frage auf, warum der «Neue Horizont» der «Pierre du Niton» in der offiziellen eidgenössischen Kartographie erstaunlicherweise fast 50 Jahre lang nicht verwendet wurde? Liegt das am sprichwörtlich langsamen Tempo des «Berner Bären»? Gilt dies nur für das freiburgische Kantonsgebiet der Siegfriedblätter? Gibt es eventuell Höhen, die korrigiert wurden und wenn ja, nach welchen Kriterien wurde deren Auswahl getroffen? Dem nachzugehen wäre ein reizvolles Forschungsfeld.
Prof. em. Dr. Marino Maggetti
Literatur
Schlatter, Andreas (2020): 200 Jahre Repère Pierre du Niton. Über das Niveau der Schweiz. In: Bundesamt für Landestopografie swisstopo (Hsg.), Die Schweiz auf dem Messtisch. 175 Jahre Dufourkarte. Schwabe Verlag, Basel, 127-149.